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Motiv Familientafel
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Empirische Befunde zum Konzept

Im Folgenden möchten wir ausgewählte Ergebnisse der Befragungen, die im Rahmen der Begleitforschung in Bayreuth gewonnen wurden, vorstellen. Sie belegen, dass sich das Konzept der Familientafel in der Praxis bewährt (Limmer/Rülling/Vogel 2013). Dabei gehen wir folgenden Fragen nach:

Eignet sich die Tafel als Ort für die aufsuchende Arbeit der Familientafel?

Die Ergebnisse unserer Befragungen sprechen eine klare Sprache: In Bayreuth ist die Tafel ein gut geeigneter Ort, um armutsgefährdete Eltern anzutreffen. Woche für Woche kommen mindestens 130 Mütter oder Väter minderjähriger Kinder, um an einem der beiden Ausgabetage Lebensmittel zu beziehen. Mehr als 45 % aller Tafelkunden/Tafelkundinnen, die persönlich zum Tafelladen kommen, leben mit minderjährigen Kindern zusammen in einem Haushalt. Die meisten Eltern kommen dabei regelmäßig zur Tafel. Bemerkenswert ist, dass die Tafelkunden bzw. Tafelkundinnen aus dem gesamten Stadtgebiet kommen. Die steigende Entfernung zwischen dem eigenen Stadtteil und dem Tafelladen hat zwar einen Einfluss darauf, wie regelmäßig die Eltern zum Einkaufen an die Tafel kommen, aber sie hält Eltern nicht grundsätzlich davon ab, an die Tafel zu kommen.


Handelt es sich bei den Familien an der Tafel tatsächlich um Familien in schwierigen Lebenssituationen?

Wie zu vermuten, sind an der Bayreuther Tafel viele Eltern anzutreffen, die sich in besonders herausfordernden Lebensumständen befinden. Dies zeigt sich beispielsweise daran, wie verbreitet soziodemographische Merkmale sind, die als Risikofaktoren für ökonomische, soziale oder gesundheitliche Probleme gelten: Knapp jede zehnte Mutter und jeder zehnte Vater hat keinen Schulabschluss erworben und mehr als 40 % der befragten Eltern haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Rund 40 % der Eltern sind zudem allein erziehend. In mehr als 80 % der Familien leben Kinder mit Migrationshintergrund. An der Tafel sind überdurchschnittlich viele kinderreiche Familien anzutreffen, denn rund 30 % der befragten Eltern haben drei oder mehr Kinder. Dass die Eltern sehr gefordert sind, lässt sich auch daran ablesen, dass viele im zurückliegenden Jahr von einschneidenden Lebensereignissen betroffen waren, die mit erheblichen Anpassungsleistungen verbunden sind: Jede fünfte Familie hatte einen schweren Unfall, den Tod oder eine Erkrankung einer im Haushalt lebenden Person zu bewältigen, in knapp jeder fünften Familie wurde eine im Haushalt lebende Person arbeitslos und in mehr als jeder dritten Familie hat ein Familienmitglied einen neuen Arbeitsplatz angetreten. Zudem berichtete jeder siebte Elternteil von einer Trennung im zurückliegenden Jahr und jeder achte Elternteil berichtete davon, dass sich eine neue Partnerschaft entwickelt hat.

Auffällig ist, dass sich mehr als jede dritte Mutter bzw. jeder dritte Vater gesundheitlich beeinträchtigt fühlt. Knapp 20 % der befragten Eltern bewerten die eigene Gesundheit als „weniger“ oder „gar nicht gut“, während der entsprechende Anteil in der bundesdeutschen Allgemeinbevölkerung rund 6 % beträgt (Robert Koch-Institut 2012: 65).

Auch mit Blick auf die Kinder der Tafelkunden/Tafelkundinnen belegen unsere Befragungen, dass Armut oftmals nicht der einzige Risikofaktor für die kindliche Entwicklung ist. Fast jedes dritte Schulkind leidet nach Auskunft der Eltern unter gesundheitlichen Beschwerden und mehr als jedes zehnte Kind ab sechs Jahren hat nach Einschätzung der Eltern keine Freunde. Von den Eltern mit Migrationshintergrund berichtet mehr als jede fünfte Mutter bzw. jeder fünfte Vater im Interview, dass zuhause mit den Kindern nie oder nur manchmal Deutsch gesprochen wird.


Ist die Lotsenfunktion der Familientafel tatsächlich notwendig?

Die Ergebnisse unserer Elternbefragung an der Tafel in Bayreuth belegen, dass mehr als jede zweite Mutter oder jeder zweite Vater mindestens ein Beratungsanliegen hat. Dies betrifft zentrale Bereiche ihrer Elternrolle, wie z. B. Fragen, die vor dem Hintergrund ihrer Aufgaben als Ernährende oder Erziehende entstehen. Doch wissen längst nicht alle Eltern, wo es für ihre Fragen eine geeignete Anlaufstelle vor Ort gibt. So kennt beispielsweise rund die Hälfte der Befragten bei Fragen, die die schulische Situation des Kindes betreffen, keine/n geeignete/n Ansprechpartner/in und knapp die Hälfte weiß nicht, wo es die Möglichkeit gibt, finanzielle Themen zu besprechen. Weiterhin kennen knapp 40 % der Eltern für ihre Fragen zur Erziehung ihrer Kinder keine Anlaufstelle vor Ort.

Diese Befunde werden durch die Ergebnisse anderer Forscher wie z. B. Wüstendörfer (2010) bestätigt, die darauf hinweisen, dass gerade Familien in prekären Lebenslagen häufig keinen Zugang zum psychosozialen Hilfenetz haben. Die Ergebnisse unserer Elternbefragung zeigen auch, dass die jüngeren Schulkinder der Tafelkunden vergleichsweise häufig institutionelle Angebote zur Entwicklungsförderung, Freizeitangebote oder schulische Zusatzangebote nutzen. Doch bei den Kleinkindern sowie bei den älteren Schulkindern sind es vergleichsweise wenige, die institutionelle Freizeitangebote nutzen und dadurch in die soziale Infrastruktur vor Ort eingebunden sind. In Vereinen oder Kirchen sind über alle Altersgruppen hinweg ebenfalls nur wenige Kinder der von uns befragten Eltern engagiert. Wir vermuten daher, dass die Kinder der Tafelkunden bzw. Tafelkundinnen in hohem Maße davon profitieren könnten, wenn ihnen über das Angebot der Familientafel der Zugang zu Freizeit- und Bildungsangeboten eröffnet wird.


Sind die Eltern an der Tafel offen für Gespräche und Informationen?

Die Tafel in Bayreuth ist ein Ort, zu dem Familien in schwierigen Lebenslagen aus dem gesamten Stadtgebiet regelmäßig kommen. Aber: Eignet sich die Tafel auch dafür, um mit den Eltern ins Gespräch zu kommen? Sowohl die Erfahrungen der Fachkräfte der Familientafel als auch die Erfahrungen der Begleitforschung belegen eindeutig, dass der Großteil der Tafelkunden bzw. Tafelkundinnen offen für Gespräche ist. Das liegt vor allem daran, dass sich viele Kunden/Kundinnen frühzeitig am Tafelladen einfinden und darauf warten, dass ihr Einkauf beginnen kann. Auch während des Einkaufs nehmen sich die Tafelkunden/Tafelkundinnen zumindest für kurze Gespräche Zeit. Nach dem Einkauf lassen sich die Meisten auf keine Gespräche mehr ein, denn sie möchten ihre Einkäufe möglichst schnell nach Hause bringen.

Doch eignet sich der Tafelladen auch als ein Ort, an dem Menschen von den Themen sprechen, die ihnen Schwierigkeiten bereiten oder bei denen sie Unterstützung suchen? Schließlich finden die Gespräche mitten unter vielen anderen Menschen statt, die sich unterhalten, einfach nur warten oder im Laden bedient werden. Unsere Erfahrungen bestätigen, dass die Kunden/Kundinnen die Gespräche nutzen, um eigene Anliegen zu platzieren. Im Zuge der verschiedenen Befragungen von Tafelkunden/Tafelkundinnen haben wir zudem die Erfahrung gemacht, dass die Kunden/Kundinnen das Interview an der Tafel eindeutig gegenüber anderen Möglichkeiten der Befragung vorziehen. Kaum eine Person nutzte die Möglichkeit ein Telefoninterview zu geben oder das Interview an einem anderen neutralen Ort, wie z. B. in einem Café oder in einem Raum in einer Beratungsstelle, zu führen. Unser Eindruck ist, dass die Tafel für viele Kunden/Kundinnen in gewisser Weise ein geschützter Ort ist – viele Kunden/Kundinnen kennen sich zumindest vom Sehen und sie kennen die meisten ehrenamtlichen Helfer/innen an der Tafel. Die Anwesenheit bekannter Menschen in einer vertrauten Umgebung trägt dazu bei, dass die Tafelkunden/Tafelkundinnen Informationen und Gesprächsangebote nutzen.


Wie bewerten die Eltern das Angebot der Familientafel?

Die Eltern, die im Rahmen der Lotsenfunktion die informierende Erstberatung in den Räumen der Familientafel oder eines der zusätzlichen Angebote genutzt haben, äußern sich sehr positiv. Entscheidend für die gute Bewertung ist, dass die Eltern die Fachkraft der Familientafel als verlässlich und vertrauenswürdig wahrnehmen. Sie machen die Erfahrung, dass die Mitarbeiterin wichtige Informationen gibt oder, ausgehend von den Kooperationsvereinbarungen zwischen den Einrichtungen, eine/n geeignete/n Ansprechpartner/in benennen kann und gegebenenfalls direkt einen zeitnahen Gesprächstermin vereinbart. Daneben berichten sie davon, dass an der Familientafel „etwas voran geht“ und sie das Angebot deshalb gerne nutzen (Limmer/Rülling/Vogel 2013).

Hier gelangen Sie zu Erfahrungen der Eltern mit der Familientafel aus den leitfadengeführten Tiefeninterviews (Limmer/Rülling/Vogel 2013):


Interessieren Sie sich für die Anfänge der Familientafel? Dann lesen Sie hier weiter.


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